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17.Juni 1953 | Volksaufstand in Lutherstadt Eisleben

Was geschah am 17. Juni 1953 in Eisleben – die Chronologie
5 Uhr: „Generalstreik“ – erste Plakate mit dieser Aufschrift werden geklebt
Aus den Polizeiprotokollen:
Mansfeld-Kombinat. In der Nacht zum 17.6.1953 waren in Eisleben an mehreren Stellen auf Plakaten demokratischer Organisationen handgeschriebene Parolen angebracht worden, „Mansfelder, auf zum Generalstreik!“ Während bei Beginn der Frühschicht alle Schächte und Hütten des Mansfeld-Kombinates die Arbeit aufnahmen, obwohl bereits in vielen ebenfalls provokatorische Gruppen die Hütten- und Bergarbeiter zur Arbeitsniederlegung aufforderten, fuhr die Frühschicht des „Otto-Brosowski-Schachtes" nicht ein, sondern verlangte mit ähnlichen Forderungen, wie von der Farben- und Filmfabrik gefordert, Aufklärung über Berliner Ereignisse. Die Kumpels des „Otto-Brosowski-Schachtes" allerdings gingen nicht zu Demonstrationen über, sondern blieben zunächst über Tage, bildeten eine Streikleitung, die unter Leitung faschistischer Provokateure extreme Forderungen aufstellte, wie: Beseitigung der Regierung, 40 %ige Senkung der HO-Preise, Freilassung der Gefangenen usw. 6 Uhr: Im Otto-Brosowski-Schacht wird bereits gestreikt; andere Hütten und Schächte schließen sich dem.
10.30 Uhr: Ein Demonstrationszug mit Arbeitern der Bau-Union (Hallesche Straße) zieht durch die Stadt zum Markt
Aus den Polizeiprotokollen:
„Inzwischen hatten die Bauarbeiter der Bau-Union Eisleben, die zum Bau eines Kulturhauses eingesetzt waren, ebenfalls die Arbeit niedergelegt und bildeten eine Demonstration, die bis auf 500 Mann anwuchs, durch die Straßen Eislebens zog, ohne zu terroristischen Handlungen überzugehen, und sich gegen 10.30 Uhr, nach ca. einstündiger Dauer, wieder auflösten.“
15 Uhr: Demonstranten vom Fortschrittschacht schließen sich der Bewegung an, so auch Thälmann- und Lademannschaft sowie Bürger reihen sich ein.
Aus den Polizeiprotokollen:
Durch die Niederlegung der Arbeit auf dem „Otto-Brosowski-Schacht" griff diese Streikbewegung im Laufe des Vormittags auf die anderen Schächte des Kombinates über außer „Thomas-Münzer-Schacht", so daß die Kumpels gegen Mittag aus allen Schächten wieder ausgefahren waren. Jedoch erst gegen 15.00 Uhr formierte sich vom „Fortschritt-Schacht" her, der ca. drei Kilometer von Eisleben entfernt liegt, ein Demonstrationszug in Richtung Eisleben.
15.30 Uhr: Volkspolizei und Soldaten der Sowjet-Armee versuchen mit Warnschüssen den Markt zu räumen.
Aus den Polizeiprotokollen:
Der sich vom Fortschrittschacht her nach Eisleben formierende Demonstrationszug erreichte Eisleben gegen 15.30 Uhr. In Eisleben selbst war zu dieser Zeit durch den sowjetischen Kreiskommandanten bereits der Ausnahmezustand kurz zuvor verkündet worden. Bei der Verkündung auf dem Markt versuchte eine Frau aus einem nahegelegenen Haus, die sowjetischen Soldaten zu fotografieren. Sie wurde von der Volkspolizei festgenommen. Die Demonstranten forderten nach Ankunft auf dem Markt die sofortige Freilassung dieser Frau neben den anderen schon genannten Forderungen. Es gelang ihnen, da die Offiziere und Wachtmeister des VPKA Eisleben von der Schußwaffe keinen Gebrauch machten, in das VPKA einzudringen und einige K-Angehörige schwer zu mißhandeln und im Erdgeschoß Verwüstungen anzurichten. Durch das unerschrockene Auftreten des Amtsleiters gelang es, die Demonstranten mit Hilfe einiger besonnener Arbeiter aus dem VPKA nach 20 Minuten wieder herauszudrängen.
In der Nacht vom 17. zum 18. wurde die Nachtschicht im Mansfeld-Kombinat fast nicht wahrgenommen. Die Frühschicht des 18.6. fuhr in die Schächte nicht ein. Hinzu kam, daß am 18. die Belegschaften der meisten Hütten ebenfalls die Arbeit niederlegten, obwohl sie am 17.6. weiter gearbeitet hatten bis auf wenige Ausnahmen. Im Verlauf des 18. wurde auch die Arbeit bis auf Bruchteile der Belegschaft nicht aufgenommen. Die meisten Berg- und Hüttenarbeiter verließen die Schächte und Betriebe.
16 Uhr: Das Volkspolizei-Kreisamt am Markt wird von Demonstranten gestürmt; so auch die Untersuchungshaftanstalt; Häftlinge werden frei gelassen; Unterlagen werden verbrannt.
Aus den Polizeiprotokollen:
Inzwischen war die UHA Eisleben von den Demonstranten ebenfalls belagert und gestürmt worden, da auch hier von der Schußwaffe kein Gebrauch gemacht wurde und vorher versäumt war, eine entsprechende Verstärkung in die Haftanstalt zu legen. Sämtliche Gefangenen wurden gewaltsam befreit. In der Stadt richteten die Provokateure einige Verwüstungen an, ohne weitere Staats- oder Parteigebäude zu besetzen. Der Leiter des Hüttenkombinates, Genosse G., war vorher bei einem Versuch, die Kumpels von ihrem unsinnigen Vorgehen abzubringen, von diesen niedergeschlagen worden. Im Anschluß an den Sturm auf die UHA Eisleben marschierte ein Teil der Demonstranten in Richtung Volkstedt, um die in dem dort gelegenen Haftlager befindlichen Strafgefangenen zu befreien. Vorher waren bereits Demonstranten auf LKW im Haftlager erschienen, die aber unter Anwendung von Waffengewalt davongejagt wurden. Die Demonstranten versuchten in Stärke von 1.000 Mann, nach Volkstedt zu gelangen, wurden aber vorher auseinandergeschlagen, da inzwischen sowjetische Soldaten auch in Eisleben in größerer Zahl die Lage wieder herstellten.
17 Uhr: Die Leitung des Mansfeld-Kombinates wird von Demonstranten besetzt; Direktor Gutjahr wird niedergeschlagen; an schließend stürmt die Menge die Kreisleitungen der SED und FDJ.
21 Uhr: Sowjetische Militäreinheiten sind in Eisleben einmarschiert. Für den Kreis wird der Ausnahmezustand verhängt. Die Demonstrationen lösen sich auf.
Neue Tafel soll Erinnerungen wach halten
"Wir nehmen diese Dinge wie Selbstverständlichkeiten und entwerten sie dadurch. Demokratie ist kein fester Besitz, sie bleibt nur erhalten, wenn man sie sich täglich neu erobert - wenn man Gebrauch macht von den demokratischen Rechten. Dafür ist Jahrzehnte lang, Jahrhunderte lang gekämpft worden." Günter Grass in einem Spiegel-Interview

Drei Tafeln, drei Jahrzehnte, drei Generationen, zwei Standorte Wider des Vergessens: Der 17. Juni 1953 in der Lutherstadt Eisleben

Was wissen wir über einen Tag, der im westlichen Teil Deutschlands per Gesetz vom 4. August 1953 vom Bundestag als „Tag der deutschen Einheit“ und gesetzlichen Feiertag und vom Bundespräsident am 11. Juni 1963 zusätzlich zum „Nationalen Gedenktag des deutschen Volkes“ erklärt wurde? - Aus erster Hand, aus eigener Erfahrung, womöglich nicht viel oder nicht mehr viel. Die wenigsten unter uns haben diesen Tag selbst erlebt, wohl aber davon gehört oder davon gelesen.
Nun haben Erinnerungen die Angewohnheit (man mag nicht urteilen, ob nun gut oder schlecht), zu verblassen – wenn man sie nicht lebendig erhält. Doch wie? Gemeinhin, indem man solchen Tagen eben gedenkt – sie also im Gedächtnis bewahrt. In der Lutherstadt Eisleben ist dies in drei Jahrzehnten durch drei verschiedene Tafeln geschehen. Drei Jahrzehnte, drei Tafeln, drei Generationen.
Die erste, eine Bronzetafel, erhielt die Lutherstadt Eisleben im Jahre 2003 auf private Initiative von Zeitzeugen. An dieser Stelle sei besonders der Eisleber Ehrhardt Schmidt erwähnt, der sich Zeit seines Lebens darum bemüht hat, die Geschehnisse um den 17. Juni 1953 in der Lutherstadt Eisleben zu dokumntieren und für die Nachwelt zu konservieren. Die Metalltafel wurde gegenüber der ehemaligen Hauptverwaltung des „VEB Mansfeld Kombinates Wilhelm Pieck“, direkt an der Mauer zur Andreaskirche, installiert und war beschrieben:
"50. Jahrestag „1953 – 2003 | Wir erinnern an die Mutigen, die am 17.Juni 1953 für Recht, Freiheit und soziale Verbesserungen in der DDR eintraten"
In seinen Lebenserinnerung (Ehrhardt Schmidt: Vergangen Ja, vergessen nein; Frieling-Verlag Berlin, 1. Auflage 2014) schildert er jedoch seinen Unmut über die Unscheinbarkeit der Bronzetafel, die, ob ihres Materials und Farbe, gänzlich mit dem Hintergrund, dem Sandstein der Mauer, zu verschwimmen scheint. Schmidt schlug einen neuen Platz vor, wo die Tafel besser zum Tragen kommen würde: „Statt der Einlagerung der bronzenen Tafel schlug ich dem Vertreter der Stadt, Frau H., eine bessere Verwendung vor: nämlich an der Fassade des ehemaligen Gebäudes der Volkspolizei, im Zentrum der Stadt am Markt. Hier wäre tatsächlich ein historischer Ort für die Gedenktafel. Hier hatten wir Bergleute, vom Fortschrittschacht kommend, die Staatsdiener aufgefordert, sich uns Streikenden anzuschließen. Rotarmisten versuchten an der Stelle, sich uns entgegenzustellen. Sie wurden von uns so an die Fassade gedrückt, dass sie ihre Waffen nicht einsetzen konnten“.

Statt Schmidts Vorschlag zu folgen, wurde eine neue Tafel initiiert. Dieses Mal setzten sich Schülerinnen und Schüler mit dem Thema auseinander und rückten die „Stätten des Volksaufstandes am 17. Juni 1953“ in ihrer Heimatstadt – der Lutherstadt Eisleben - in den Fokus. Begleitet wurden sie bei ihren Recherchen von Historiker Dr. Hartmut Lauenroth und der Gleichstellungsbeauftragten der Lutherstadt Eisleben, Maria Hahn. Die Ergebnisse dieses Projektes waren eine Dokumentation (Lutherstadt Eisleben [Hrsg.] 2013: Der 17. Juni 1953 in der Lutherstadt Eisleben – Eine Dokumentation von Dr. habil. Hartmut Lauenroth) und eine Erinnerungstafel, die zum 60. Jahrestag, anstelle der Tafel aus dem Jahr 2003, angebracht wurde.
Sie trug die Aufschrift: 60. Jahrestag „Zum Gedenken an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der Lutherstadt Eisleben für soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Einheit und Demokratie“.
Nun, wiederum zehn Jahre später, dieses Mal direkt aus der demokratischen Mitte, aus dem Stadtrat der Lutherstadt Eisleben, kam das Begehren, eine neue, eine würdige, dem Anlass gerechte Tafel zu gestalten und zugleich einen neuen Ort (einen authentischen) für die Anbringung zu finden. Unter Einbeziehung der verschiedenen beratenden und beschließenden Gremien der Lutherstadt Eisleben, unter Einbeziehung von Zeitzeugen und schließlich und letztendlich per Stadtratbeschluss entstand eine neue Tafel, die am 17. Juni 2023, zum 70. Jahrestages des Volksaufstandes, an der "Waage", also in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes, angebracht wurde. Sie soll würdevoll an diesen Tag erinnern und mahnen – wie schon ihre beiden Vorgängerinnen.

Rede Vereinigung der Opfer des Stalinismus in Sachsen-Anhalt E.V.

Grußwort Bürgermeister der Lutherstadt Eisleben, Carsten Staub