Im Deutschen Bundestag haben die Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen gemeinsamen Antrag im Oktober 2020 eingebracht - „Mit einem Ort des Erinnerns und der Begegnung dem Charakter der deutsch-polnischen Geschichte gerecht werden und zur Vertiefung der besonderen bilateralen Beziehungen beitragen“. Diesen Antrag hat der Eisleber Synagogenverein zum Anlass genommen und auf dem Neuen jüdischen Friedhof am 24.6.2021 zu einer Gedenkveranstaltung eingeladen.
Seit dem 24. Juni 1945 sind hier 19 polnische katholische Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge begraben.
Sie haben im Schacht bei der Mansfeld AG, auf den Feldern der Großbauern und im Stollen des KZ Wansleben gearbeitet.
Die Anwesenden verlasen die Namen der hier Begrabenen, legten eine Blume nieder und zündeten eine Kerze an. Obwohl sich Herr Seidel vom Eisleber Synagogenverein intensiv mit diesem Grabstein befasst und auch mit Jugendlichen über das Thema diskutiert hat, bleiben nach 76 Jahren noch Fragen offen.
Warum sind auf dem jüdischen Friedhof die nichtjüdischen Menschen begraben worden?
Woher hatten die Deutschen, die diesen Gedenkstein setzten, die Angaben über die Opfer?
Wer hat den Gedenkstein gesetzt bzw. sein Aufstellen veranlasst?
Bürgermeister Carsten Staub fand zu diesem Anlass folgende Worte:
Hier der Text des Grußwortes:
19 Namen von polnischen katholischen Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen.
Wie Sie es bereits ausgeführt haben, bleiben zu diesem Stein und diesem Ort noch Fragen offen.
Es ist wichtig, dass man versucht, diese Fragen zu beantworten. Sie haben sich mit dem Eisleber Synagogenverein und Jugendlichen dieser Aufgabe gestellt.
Für das ehrenamtliche Engagement bedanke ich bei allen Beteiligten und sage Ihnen meine volle Unterstützung zu. Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden.
Ein solcher Tag wie heute, ist ein Tag der Erinnerung.
Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Dieser Krieg war ein historisch beispielloser Angriff auf die Menschlichkeit, eine Vernichtung von Menschenleben und die Zerstörung ganzer Städte und kultureller Ideale. Zigmillionenfach war das Leid, das mit diesem Völkermord einherging. Menschen starben bei den Kampfhandlungen aber auch im Hinterland und da mit besonderer Brutalität und unvorstellbaren Methoden. Hier starben Andersdenkende, Juden, Sinti und Roma, behinderte Menschen, Homosexuelle und Kriegsgefangene, weil sie anders dachten, weil sie sich nicht beugten. Weil sie ihre politische Überzeugung, ihre Moral oder ihren Glauben nicht aufgaben. Es herrschte eine Gewalt derer, denen ein Menschen-leben wertlos war. Es war ein Krieg, der auf die Machtbesessenheit und Rassenwahn einiger Weniger zurückzuführen ist. In diesem Zusammenhang stellen sich immer wieder die gleichen Fragen:
Wie konnte es nur soweit kommen? Wie kann ein Mensch, wie können Menschen nur zu solchen Taten fähig sein? Kann uns das heute wieder passieren?
Wenn man diese Fragen beantworten will, dann muss man mit offenen Augen nach draußen gehen.
Wir sehen mit Sorge den wachsenden Antisemitismus, die Gewalt, die Kriege in der Welt, die religiösen Auseinandersetzungen, den Hass auf Ausländer oder auf Menschen, die aus politischen Gründen ihre Heimat verlassen müssen.
Wir müssen jetzt handeln. Wir müssen aufeinander zugehen, miteinander reden, nicht hassen. Hass auf andere Menschen darf in der Welt, darf in Deutschland, darf in der Lutherstadt Eisleben keinen Platz haben! Wir können uns einfach nicht darauf verlassen, dass sich andere finden, die diese Aufgabe übernehmen.
Man ist schnell dabei zu vergessen, zumal ja das Kriegsende vor über 75 Jahren war. Aber wir sehen eine Entwicklung, die uns Sorgen bereiten sollte.
Auch wenn wir auf die lange Zeit eines friedlichen Zusammenlebens zurückblicken können, müssen wir dennoch wachsam sein. Es waren unsere Großväter, Onkels und teilweise Väter, die geblendet und durch eine einzigartige Propaganda und Manipulation in diesen Krieg zogen.
Schuld ist nicht vererbbar, Verantwortung allerdings schon.>