„Das unerschrockene Wort“ 2019 geht an die Frauenrechtlerin Seyran Ateş
Marburg. Der Bund der Lutherstädte in Deutschland vergibt den Lutherpreis „Das unerschrockene Wort“ 2019 an die Rechtsanwältin, Autorin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş. Die 55-jährige Berlinerin mit türkisch-kurdischen Wurzeln kämpft für die Rechte muslimischer Frauen, für einen liberalen Islam und gegen politisch-religiösen Extremismus in Deutschland und Europa. Die Entscheidung für Seyran Ateş als Preisträgerin fiel bei der Jurysitzung der 16 Mitgliedstädte in der Universitätsstadt Marburg.
Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und wird am 27. April 2019 in der Universitätsstadt Marburg verliehen.
Die Jury begründet ihre Wahl für Seyran Ateş mit ihrem unerschrockenen Einsatz für Frauenrechte und gegen kulturell und religiös begründete Gewalt und Extremismus. „Die Frage der Integration ist eines der bedeutenden Themen der Gegenwart und eine enorme Herausforderung für die Zukunft unserer Gesellschaft. Mit Seyran Ateş würdigen wir eine Pionierin der Integrationsarbeit. Trotz Morddrohungen und tätlichen Übergriffen verfolgt sie diesen Weg seit Jahrzehnten mit „enormer Zivilcourage“. Seyran Ateş bezeichnet sich selbst als gläubige Muslimin, die ihre Religion von innen heraus reformieren will, statt sich gegen sie zu wenden. Das ist im bestens Sinne Luthers.“ Seyran Ateş hat schon mehrere Auszeichnungen erhalten. „Trotzdem ist ihre Arbeit noch lange nicht zu Ende“, so die Jury in ihrer Begründung. Mit dem Preis „Das unerschrocken Wort“ honorieren die Lutherstädte dieses Engagement sowie Ateş‘ Mut, ihre Entschlossenheit und ihre Hartnäckigkeit, weiterzumachen. „Darin unterstützen und ermutigen wir sie.“
„Herzlichen Dank allen beteiligten Städten“, sagt Seyran Ateş, als sie von der Jury über die Entscheidung informiert wird. „Es ist mir eine Ehre, den Preis anzunehmen.“
Seyran Ateş, 1963 in Istanbul geboren, ist eine deutsche Rechtsanwältin, Autorin und Frauenrechtlerin türkischer und kurdischer Abstammung. Sie befasst sich als Anwältin in Berlin hauptsächlich mit Straf- und Familienrecht und engagiert sich in der deutschen Ausländerpolitik. Seyran Ateş war Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und nahm am Integrationsgipfel der Bundesregierung teil.
Wegen gewalttätiger Angriffe und Bedrohungen durch Prozessgegner sowie wegen Anfeindungen von verbandspolitischer Seite gab sie 2006 vorübergehend ihre Kanzlei auf, 2009 zog sie sich ganz aus der Öffentlichkeit zurück – nach neuen Morddrohungen, als ihr Buch „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“ erschien. Seit 2011 ist sie wieder öffentlich und als Anwältin aktiv – vor allem für hilfesuchende Frauen.
Die 55-jährige Frauenrechtlerin setzt sich für mehr aufsuchende Sozialarbeit in türkischen und kurdischen Familien Berlins ein. Sie vertritt die Idee der Transkulturalität und kämpft mit Vorträgen und Veröffentlichungen gegen die Unterdrückung von Frauen, gegen Zwangs- und Kinderehen sowie Ehrenmorde. Sie forderte als erste, Zwangsverheiratung als eigenen Straftatbestand einzuführen, der Frauen und Männer besser schützt.
Seyran Ateş ist Initiatorin und Mitbegründerin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, die für einen säkulären Islam durch Trennung von weltlicher und religiöser Macht sowie einer zeitgemäßen und geschlechtergerechten Interpretation des Koran steht. Die Moschee steht allen Konfessionen offen, Männer und Frauen beten gemeinsam, Homosexuelle werden getraut. Ateş lässt sich selbst zur Imamin ausbilden. Sie sagt: „Wo Religion nur der Abgrenzung dient, stellt sie sich gegen die Demokratie. Und wo Religion nach Strafen schreit, beginnt der Krieg gegen die Aufklärung und gegen jene Freiheiten, von denen hierzulande alle Kirchen und Glaubensgemeinschaften profitieren. Auch ihre Wahrheit muss kritisierbar bleiben. Beleidigt werden kann im Grunde nur der Fundamentalist.“ Seit Gründung der Moschee steht Seyran Ateş wegen erneuten Morddrohungen rund um die Uhr unter Polizeischutz. Ihre Arbeit setzt sie dennoch fort – unter anderem im Rahmen einer europäischen Bürgerinitiative für ein Maßnahmepaket gegen politischen und religiösen Extremismus in Europa
Wegen ihres Engagements für Integration und Gleichberechtigung wurde Ateş mit mehreren Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz sowie dem Verdienstorden des Landes Berlin. Seyran Ateş ist Mitglied des Kuratoriums des Humanistischen Verbands Berlin-Brandenburg.
Jurysitzung in der Universitätsstadt Marburg:
Vertreterinnen und Vertreter der 16 Lutherstädte
haben hier die Trägerin des zwölften Preises
„Das unerschrockene Wort“ bestimmt.
(Foto: Birgit Heimrich, Stadt Marburg)
Im Bund der Lutherstädte sind 16 Orte in Deutschland zusammengeschlossen, an denen Luther gelebt oder gewirkt hat. Sie würdigen mit der Auszeichnung Personen, die Zivilcourage zeigen und sich in einer besonderen Situation, aber auch beispielhaft über einen längeren Zeitraum hinweg, mit Wort, Tat und Mut gegen Widerstände für die Gesellschaft einsetzen.
Im Andenken an das Wirken Martin Luthers wird „Das unerschrockene Wort“ seit 1996 alle zwei Jahre in einer der Lutherstädte vergeben. Der zwölfte Preis wird 2019 in Marburg verliehen. Der Preis erinnert an den Mut und die Standhaftigkeit des Reformators, als dieser sich auf dem Reichstag zu Worms 1521 weigerte, seine Ansichten zu widerrufen und daraufhin geächtet wurde. Anlässlich des Jubiläums „500 Jahre Wormser Reichstag“ wird die 13. Preisverleihung im Jahr 2021 in Worms stattfinden.
Diskussionsanstoß über die Unfehlbarkeit des Papstes, systemkritische Lieder in der DDR sowie immer wieder das Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und politische oder gesellschaftliche Unterdrückung – die bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger haben auf unterschiedliche Weise Mut bewiesen und sich so die Auszeichnung „Das unerschrockene Wort“ verdient.
Den Preis 2017 teilten sich zum Beispiel Horst und Birgit Lohmeyer aus Mecklenburg-Vorpommern (Widerstand gegen Neonazis) mit Markus und Susanna Nierth aus dem sächsischen Tröglitz (Einsatz für Flüchtlingsunterkunft). Davor ging „Das unerschrockene Wort“ 2015 an den syrischen Journalisten Mazen Darwish und das Syrische Zentrum für Medien und Meinungsfreiheit – und im Jahr 2007 bereits einmal an eine kritische Muslimin.
Jede der 16 Lutherstädte kann einen Kandidaten oder eine Kandidatin aus dem In- oder Ausland für den Preis nominieren. Aus diesen ermittelt die Jury – bestehend aus den Vertreterinnen und Vertretern der Städte und weiteren Personen des öffentlichen Lebens – die gemeinsame Preisträgerin bzw. den Preisträger.
Zum Bund der Lutherstädte gehören Marburg, Augsburg, Coburg, Eisenach, Eisleben, Erfurt, Halle (Saale), Heidelberg, Magdeburg, Nordhausen, Schmalkalden, Speyer, Torgau, Wittenberg, Worms und Zeitz.