Im Jahr 2008 wurde offiziell die Lutherdekade eröffnet. Seit diesem Zeitpunkt steht jedes Jahr bis 2017 unter einem anderen Thema. Auch die Rathausgespräche nehmen sich seit 2009 dieses Themas an, und so war das Motto in diesem Jahr
„Reformation und Freiheit“.
Die Evangelische Kirche Mitteldeutschland schreibt zu diesem Thema:
„Der mündige Christenmensch steht im Mittelpunkt der Reformation. Mit der Taufe ist das allgemeine Priestertum aller Glaubenden verbunden. Der aufrechte Gang unter Gottes Wort und zugleich die solidarische Hinwendung zum Mitmenschen sind die beiden Pole reformatorischer Freiheit“.
So wie in den anderen Lutherstädten würdigen auch die Eisleberinnen und Eisleber den Tag des Thesenanschlages, der weltweit die Reformation der katholischen Kirche auslöste nicht mit einem Fest, sondern in angemessener Form.
Bereits zum 6. Mal veranstaltete die Stadt in enger Zusammenarbeit mit den Kirchen und der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt dieses Rathausgespräch im Sitzungssaal.
Die Moderation lag in diesem Jahr in den Händen des Finanzministers von Sachsen-Anhalt, Jens Bullerjahn.
Der Veranstalter hatte zu diesem Thema den ehemaligen Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Prof. Dr. Wolfgang Böhmer und Prof. Dr. Everhard Holtmann, Professor für Politikwissenschaften und Hochschullehrer an der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg eingeladen.
Bevor aber das Gespräch begann, waren die zahlreichen Gäste zu einer Kaffeetafel mit selbst gebackenem Kuchen in das Foyer des Rathauses eingeladen, um gestärkt an dem anschließenden Gespräch teilzunehmen.
Die Oberbürgermeisterin der Lutherstadt Eisleben, Jutta Fischer, begrüßte im vollbesetzten Sitzungssaal die Gäste. Unter ihnen waren zahlreiche Persönlichkeiten aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.
Einen besonderen Gruß richtete Frau Fischer an die Ehefrauen von Herrn Böhmer und Herrn Bullerjahn.
Mit besonderer Freude begrüßte Frau Fischer das Doppelquartett des Martin-Luther-Gymnasiums, welches nun seit 2009 die Rathausgespräche eröffnet.
Im Sitzungssaal des Eisleber Rathauses präsentierten die Schülerinnen und Schüler ihr Willkommensprogramm mit Chorliedern verschiedener Genres. Der Text des politisch - ironischen Liedes "Steuern" bekam besonderen Beifall und wurde später vom Moderator des Rathausgesprächs, Herrn Finanzminister Bullerjahn, in der Diskussion aufgegriffen.
Auf das Lied „Steuern“ angesprochen, gab Herr Böhmer zu, dass es stimmt und viele Menschen im Land so denken. Gleichzeitig hob er aber den Finger und sagte:
„Wir müssen uns aber so viel Ehrlichkeit gegenseitig gönnen, dass das Geld was wir ausgeben wollen, was wir vom Staat haben wollen, auch vom Steuerzahler eingezogen werden muss. Es geht nicht, dass man möglichst wenig einzahlen – aber viel erhalten möchte. Soviel Grundehrlichkeit muss man sich schön gönnen“.
Auch Herr Holtmann bemerkte zu dem Thema Steuern:
„Dass ein funktionierenden Staatswesen, wie es in Deutschland existiert, gesunde öffentliche Einnahmen benötigt. Denn nur dann kann man eine gesellschaftliche Freiheit - um die sicher heute noch diskutiert wird, garantieren“.
Nach diesem kleinen Exkurs in die Steuerverwaltung des Staates gab Herr Bullerjahn zu, dass er erst vor 20 Jahren begann die Kirche richtig wahrzunehmen.
In Vorbereitung auf dieses heutige Gespräch stieß Bullerjahn auf zwei Texte, die er als Leittexte heute benutzen möchte und bat seine Gesprächspartner diese Texte aus ihrer Sicht zu interpretieren.
„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem Untertan“ – „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann Untertan“.
Böhmer gab zu, dass er hier nur den Versuch, mit dem Abstand von 500 Jahren. unternehmen kann Luther frei zu erklären.
Böhmer erklärte den Anwesenden, dass Luther hier die zwei Reichenlehre, Kirche und Staat – Glauben und politische Staatsdisziplin gemeint haben könnte.
Hier treffen unterschiedliche Welten aufeinander. Als Christenmensch bin ich frei vor Gott und nicht gebunden an das was meine kirchliche Obrichkeit von mir verlangt. Als weltlicher Mensch in einem Staatgefüge welcher Art auch immer, bin ich nicht in gleicher Weise frei. Sondern ich bin gebunden durch eine Reihe von Verantwortungen die sich durch das Zusammenleben der Menschen ergeben.
Luther wollte damit sagen, ich habe ein eigenes Gewissen – ich stehe als einzelne Person vor Gott und ich nehme mir die Freiheit, darüber selber nachzudenken. Luther hat aber niemals gesagt, dass er auf dieser Welt als Bürger eines Staatswesens – einer Gemeinschaft frei sei. Sondern er hat deutlich gemacht, dass er viele Verpflichtungen gegenüber seinen Mitmenschen hat und ist somit Jedermanns Knecht oder Untertan. Damit wollte Luther sagen, dass er eine Verantwortung gegenüber den Menschen hat – die Menschen sollten sich auf ihn verlassen können.
Auf die Frage: Wie würde man heute Studenten diese Schrift näher bringen?, antwortete Professor Holtmann, der diese Schrift als sogenannten „Freiheitstraktat“ bezeichnete, er würde einfach diese Schrift mit in die Vorlesung nehmen und sie mehrmals in seiner Urform von 1520 vorlesen. Durch das häufige Hören würden seine Studenten die Aussagekraft dieser Schrift damals und heute erkennen. Luther löst in seiner anschließenden an diese Sätze folgenden Schrift den scheinbaren Widerspruch des inneren und äußeren Menschen auf. Heute würde man sagen, dass der innere Mensch der damals die Kraft aus den Worten Gottes zog, heute sehr modern - die Freiheit des Einzelnen sein würde.
In der weiteren Diskussion kam Herr Bullerjahn auf die Praxis der Medien zu sprechen und stellte in den Raum, wie frei ist das Wort in den Medien. Wie belastbar sind die Menschen, wenn sie durch die Medien ständig mit der Wahrheit konfrontiert werden? Auf diese Frage antwortete Herr Böhmer mit einen Schmunzeln auf den Lippen: „Wir wären ja schon dankbar, wenn es alles Wahrheiten wären, die da veröffentlicht werden“. Aus seiner Zeit als Politiker hat er oftmals festgestellt, dass die Zeitungen größtenteils Halbwahrheiten verbreiten und für ihn sind die schlimmsten Lügen die Halbwahrheiten. Es reicht oftmals aus, wenn sich die Medien nur den Teil herausnehmen, der ihnen passt und den Rest weglassen.
Zu diesem Thema sagte er abschließend: „ Zum freiheitlichen Leben gehört, dass die Zeitungen schreiben können, was sie für richtig halten und zum freiheitlichen Leben gehört auch, dass kein Mensch - kein Politiker gezwungen ist, das zu tun, was in der Zeitung steht“.
Nach über einer Stunde intensiver Diskussion drängte sich Herrn Bullerjahn eine Frage auf, die er abschließend an Herrn Böhmer stellte. Die Frage zielte auf die nun nach der politischen Karriere gewonnene Freiheit ab und ging in die Richtung, ob sich Herr Böhmer vorstellen könnte, mal ein Buch zu schreiben.
Herr Böhmer antwortete und dabei hatte er stark mit seinem Zwerchfell zu kämpfen:
„Herr Bullerjahn………….. wenn ich wüsste, dass es jemand kauft, würde ich es vielleicht machen“.
Damit beendete Herr Bullerjahn das 6. Rathausgespräch.
Den Abschluss bildete die Vorführung eines durch 12 Gymnasiasten der 7. Klasse des Martin-Luther-Gymnasiums gedrehten Filmprojektes über „Martin Luther als Wegweiser“.
Der Film erhielt von den Anwesenden viel Beifall.
Die Oberbürgermeisterin, Jutta Fischer, bedankte sich nochmals für die überwältigende Teilnahme am 6. Rathausgespräch und lud gleichzeitig zum
7. Rathausgespräch am 31. Oktober 2012 in das Rathaus der Lutherstadt Eisleben ein.
Das Thema im Jahr 4 der Lutherdekade lautet dann „Reformation und Musik“.